Wandern im Himalaya | Bergfreundinnen im Interview

Kristins und Valeries Freundschaft begann im Norden Deutschlands. Auch wenn sich dort Berge nicht vor der Haustüre befinden, gilt ihre gemeinsame Leidenschaft dem Draußen sein: Surfen, Wandern, Reisen, Ski fahren – bis Valerie sich nach einem Auslandssemester in Santa Barbara in die Landschaft, die Lebensart und in einen Mann verliebt hat und schließlich nach Kalifornien umzog. Ihre Wege trennten sich aber nur geographisch, denn als beste Freundinnen versprachen sie sich, auch weiterhin unzertrennlich zu bleiben.

Kristin und Valerie erzählen im Bergfreundinnen-Interview von ihrer Reise in den Himalaya, die ihnen nach 10 Jahren Freundschaft neue Seiten aneinander und vor allem mentale Grenzen zeigte. Über die Reise entstand der Film Together free.

 

Wie habt ihr euch kennen gelernt? Erzählt gerne ein bisschen über eure Geschichte.

Val: Ganz unromantisch bei einer WG-Besichtigung! Ich wollte 2008 zum Studium in die große Stadt Hamburg und in Kristins Wohnung war ein Zimmer frei. Sie hatte schon ein Jahr eher das Studium begonnen. Ich hatte sofort den Eindruck, dass wir ziemlich gleiche Vorstellungen vom Studentenleben in einer Großstadt hatten. Und unsere Werte und Interessen haben gepasst: Wir liebten beide das Reisen und das Draußen sein, waren Vegetarierinnen und hatten beide einen Hund. Die Chemie hat einfach gestimmt.

Kristin: Ich hatte aber ungefähr 60 Interessenten, somit war auch ein bisschen Glück dabei. Oder Schicksal, wie mans eben sehen möchte – letztendlich hat dann mein Hund die Entscheidung getroffen und Val ausgesucht!

Welche gemeinsame Tour werdet ihr nie vergessen? Was hat sie so besonders gemacht?

Val: Unsere 28-tägige Wanderung im Himalaya. Nachdem wir 10 Jahre zusammen gewohnt hatten stand für mich 2018 der Umzug nach Kalifornien an und wir wussten, dass wir zum Abschluss unserer gemeinsamen WG-Zeit etwas Großes zusammen machen wollten, ein echtes Abenteuer.

Wir sind dann eine Woche lang von Shivalaya, ein kleiner Ort am Rand des Himalayas, bis zum Sagarmatha Nationalpark gewandert, dem Zuhause des Mount Everest. Im Nationalpark sind wir dem Three Passes Trek gefolgt, haben die drei Höhenpässe bestiegen, zwei Berge erklommen und das Everest Basecamp besucht.

Es war total schön, in dieser beeindruckenden Landschaft so lange zusammen zu wandern.

Es gab immer wieder Abschnitte, bei denen wir mehrere Tage lang so gut wie gar keine anderen Wanderer gesehen haben und die Weite der Landschaft, gerade auf den Pässen, war irre.

Auf der einen Seite so kraftvoll und gewaltig, auf der anderen Seite so minimalistisch und auf wenige Farben und Elemente reduziert. Nur noch Himmel, Stein, und Schnee.

Kristin: Die Reise in den Himalaya war mit Abstand die längste und herausforderndste Wanderung, die ich je gemacht habe – ich hatte vorher wirklich wenig Wandererfahrung. Ich kann mich noch gut an den ersten Morgen erinnern, an dem wir direkt einen gefühlt senkrechten Berg hochkraxeln mussten. Ich konnte mir nicht vorstellen, das Ganze fast einen Monat 8 Stunden pro Tag durchzuhalten – mit den schweren Rucksäcken auf den schmalen, steinigen Wegen.

Aber aufgeben kam für mich nicht in Frage und ich hab zum Glück schnell meinen Tritt gefunden.

Dass wir am Ende nun auch einen Film über unser Abenteuer im Himalaya und unsere Freundschaft haben, das ist für uns schon etwas ganz Besonderes. Etwas, auf das wir immer zurückblicken können.

Worin ist deine Bergfreundin ganz besonders stark am Berg? Was kannst du vielleicht noch von ihr lernen? Wie und wobei fordert sie dich heraus?

Kristin: Val ist von uns beiden auf jeden Fall immer noch diejenige, die insgesamt mehr in den Bergen unterwegs ist und daher etwas mehr Erfahrung hat. Da lasse ich mich gern von ihrem Mut und ihrer „Ach, das klappt schon“-Mentalität anstecken.

Und es ist ja nie so, dass sie leichtfertig ist oder unnötige Risiken eingeht. Sie ist nur manchmal vielleicht etwas weniger besorgt und traut sich – und mir – viel zu.

Val: Kristin ist extrem willensstark. Sie schafft es, sich auch in neuen Situationen nicht einschüchtern zu lassen und Dinge durchzuziehen. Und sie hat kein Problem damit, sich auch am Ende des Tages noch zu etwas zu motivieren.

Sie hat eigentlich immer Bock auf mehr und ist bereit  eine weitere Herausforderung anzunehmen, wenn ich vielleicht schon der Meinung bin, dass es Zeit zum Füße hochlegen ist.

Im Himalaya zum Beispiel war es vor allem sie, die uns dazu animiert hat, mindestens einmal am Tag Yoga zu machen – was uns körperlich und geistig dort oben sehr gut getan hat.

Welche Situation kannst du mit deiner Bergfreundin besonders genießen?

Kristin: Im Himalaya war das jedes Mal die Freude, einen der drei Höhenpässe bestiegen zu haben. Wenn ein Pass anstand, hieß es aufstehen um 4.30 Uhr, dann ein kurzes Frühstück und noch vor Sonnenaufgang los, da es meist 6-8 Stunden dauerte, den Höchsten Punkt auf ca 5500m zu erreichen. Oben angekommen war es dann ein wunderschönes Gefühl zurück zu schauen auf das, was man schon geschafft hat und voraus, in das neue, unbekannte Tal. Bei dieser Reise und gerade bei den Pässen war es schön, dass man nicht den gleichen Weg wieder hinunter musste, den man hochgekommen ist und wir generell nur einmal zum Everest Basecamp eine Strecke doppelt gelaufen sind. Sonst ging es eigentlich immer weiter nach vorn und alles blieb neu.

Val: Ich glaube, für mich ist es die Gemeinschaft beim Wandern an sich. Ich denke, viele von uns, die gern Abenteuer draußen erleben, hatten irgendwann einmal das Bedürfnis, eine Reise ganz allein zu machen, „frei“ und unabhängig sein, schauen, wie man allein zurechtkommt. Das finde ich auch total wertvoll – ich selber brauchte diese Erfahrung auch – oder man könnte sagen: ich musste mir das beweisen.

Aber so schwer das Alleinsein manchmal ist, finde ich ein wahrhaftiges Gemeinsam, eine Partnerschaft auf Augenhöhe, mental nochmal wesentlich herausfordernder.

Gleichzeitig gibt sie einem aber auch so viel mehr. Zum Beispiel die persönliche Freiheit, die man findet, wenn man in der Nähe des anderen nichts mehr zu verstecken hat und mit sich selbst und der anderen völlig ehrlich sein kann.

Gemeinsam Frei zu sein ist so zum Motto unserer Freundschaft und zum Ziel unserer persönlichen Reise geworden.

Wobei seid ihr euch eigentlich immer einig? Wobei nicht?

Val: Wir sind uns eigentlich immer einig, Dinge durchzuziehen. Das haben wir z.B. auch auf unserer Wanderung im Himalaya festgestellt. Die Wanderung war körperlich sehr herausfordernd und wir hatten beide mit der Höhenkrankheit zu kämpfen – ich sogar so doll, dass wir einige Tage nicht weitergehen konnten und überlegen mussten, die Reise abzubrechen.

Aber leichtfertig aufzugeben, daran hat keine von uns gedacht. Da hätte uns mein Zustand schon wirklich zum Abbruch zwingen müssen.

Kristin: Ich glaube, wir sind uns manchmal uneinig im Grad der Perfektion. Besonders, wenn ich müde und kaputt werde, tendiere ich dazu schludrig zu werden und “ach, passt schon” zu denken, “80% reichen auch”. Val ist da perfektionistischer und hat immer eine genaue Vorstellung im Kopf, wie etwas aussehen oder laufen soll und setzt das dann auch so um.

Was bewunderst du an deiner Bergfreundin?

Val: Wie empathisch Kristin ist.

Sie ist eine extrem gute Zuhörerin und ist sehr gut darin, andere Menschen zu verstehen.

Sie lässt einen, wenn man ein Problem oder eine Sorge hat erst ausreden und stellt dann vertiefende Fragen. Sie bietet nicht ungefragt Rat oder zwingt einem ihre Meinung auf.

Es ist total schön, wenn sie sich so Zeit nimmt und einem ungeteilte Aufmerksamkeit schenkt. So fühlt man sich wirklich gehört.

Wenn man dann fertig ist und um ihre Einschätzung bittet, hat sie immer eine neue Sichtweise zu bieten, eine Seite, die man selber noch nicht gesehen hat. Und sie bringt Ruhe und Zuversicht in eine Situation.

Kristin: Wie tough Val ist und wie gut sie auf sich allein aufpassen kann. Die Höhenkrankheit hat ihr massive Kopfschmerzen bereitet und sie sehr geschwächt. Dennoch hat sie es irgendwie geschafft, in erster Linie auf sich und ihren eigenen Körper zu hören – also mehr als auf andere Menschen – und danach entschieden, ob und wie es weitergehen kann. Ich wäre in dieser Situation viel unruhiger geworden, hätte andere Menschen um Rat gefragt und mich auf deren Einschätzung verlassen.

 

Was würdest du deiner Bergfreundin gerne mal sagen?

Val: Dass ich total froh bin, dass wir zwei unser Filmprojekt nicht nur angefangen, sondern auch durchgehalten haben – das ist zum größten Teil ihr zuzuschreiben.

Ich stecke gerne viel Energie und Feuer in eine Sache, aber ich bin da vielleicht auch manchmal etwas zu doll und wenn der Weg nicht direkt zu sehen ist, weiß ich nicht wohin mit meiner Energie.

Gerade in der Corona-Zeit, als wir auch manchmal gar nicht wussten, ob das Projekt überhaupt irgendwo hinführt oder wie und wann es weitergeht, war sie diejenige, die uns auf Kurs gehalten hat und ruhige Zuversicht in die Sache gebracht hat. So klischeehaft es klingt, aber ich kann mir wirklich nicht vorstellen, einen Film über Freundschaft jemals mit irgendwem anders gemacht haben zu können.

Kristin: Danke, dass Val so perfektionistisch und kritisch ist. Ich gebe zu, dass das manchmal nicht einfach ist und auch letzte Energiereserven von mir abverlangt, aber dafür wird alles, was sie anfasst, zu Gold.

Sie hat eine mega Intuition für Dinge, die noch nicht so ganz passen und feilt so lange dran rum, bis sie gut sind – also sehr gut, vorher wird nicht aufgegeben.

Mit Val in der Tourenplanung kann man sicher gehen, dass man nicht irgendeine Wanderung macht, sondern definitiv “the most epic”.

Welche gemeinsamen (Berg)Pläne habt ihr für die nahe und ferne Zukunft?

Val: Mir fallen hier in den USA noch einige Touren ein, die ich gern einmal machen würde. Die Sierra Nevadas sind nicht sehr weit entfernt und ich würde mich gern an etwas technischere Routen wagen. Und als größere Reise hab ich immer noch Patagonien im Kopf, da würde ich unheimlich gerne einmal hin.

Kristin: Neben neuen Bergabenteuern sind wir im Moment ja noch sehr mit der Verarbeitung unserer letzten großen Tour beschäftigt und planen schon seit der Premiere unseres Films weitere online Live Streams und dann die Open Air Kinotour im Sommer. Wir haben uns gerade überlegt, uns dafür einen Bus zu leihen, mit dem wir von einer Vorführung zur nächsten fahren können, das wird bestimmt auch total spannend und ein riesiges gemeinsames Abenteuer, auf das wir uns schon mega freuen!

Wo fühlst du dich in der Stadt den Bergen am Nächsten?

Val: Ich bin ja vor fast 3 Jahren nach Santa Barbara in Kalifornien gezogen wo man ein kleines Gebirge quasi direkt vor der Tür hat. Hier geh ich morgens vor der Arbeit gern Trailrunnen oder Mountainbiken, das ist total schön und hat mir gerade in der Covid-Zeit total geholfen. Wenn ich größere Städte besuche, gehe ich sehr gern morgens schon ganz früh laufen, wenn noch nicht so viel los ist und alle noch schlafen. Dann fühlt sich die Stadt noch ganz ruhig an, ein bisschen wie die Ruhe in den Bergen.

Kristin: Mir geht es da ähnlich.

Draußen Sport zu machen ist für mich im Alltag die schönste Möglichkeit, mich ins „Draußen Feeling“ zu bringen und den Kopf frei zu bekommen.

Die Berge sind hier oben im Norden allerdings ziemlich weit weg. Also versuche ich oft Trips zu machen und besuche Val in Kalifornien, meine Schwester in München oder besteige oder erlaufe Berge in meinen Urlauben. Zum Glück habe ich eine Boulderhalle direkt um die Ecke, wo ich regelmäßig klettere.

Willst du sonst noch was über eure Bergfreundschaft erzählen?

Kristin: Wir haben für uns festgestellt, dass Freundschaft eine ganz wunderbare Form der Beziehung ist, die einem super viel Nähe, Liebe und Glück geben kann und einem gleichzeitig so viel Freiheit bietet.

Wir haben das Gefühl, dass Freundschaft im Alltag schnell vergessen wird oder ihr weniger Priorität eingeräumt wird als der Beziehung zum Partner oder der Familie.

Wir möchten unserer Freundschaft weiterhin eine hohe Priorität in unseren Leben geben und nicht nur gemeinsame Reisen und Abenteuer planen, sondern auch gemeinsamen Alltag und ein gemeinsames Leben!

Danke für das Interview, Kristin und Valerie! 

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