Kilimandscharo Tour | What doesn´t Kili you makes you stronger!
Irmi hat nach 20 Jahren in der freien Wirtschaft die Marketing-Welt verlassen und arbeitet nun als NaturCoach und Bergwanderleiterin. Am liebsten ist Irmi zu Fuß beim Wandern oder auf dem Mountainbike – im Winter mit Skiern und Schneeschuhen unterwegs. In ihrem neuen Beitrag berichtet sich über das Versagen und die Vernunft am Berg
„Sorry, I cannot go!“
Ich kann es kaum glauben, dass ich genau diesen Satz bei meiner Kilimandscharo Tour sage … es fließen Tränen und Zweifel kommen auf. Sollte ich doch? Wenigstens versuchen? Ich kann mich kaum aufrecht hinsetzen, neben dem Kopfdruck kommt die Übelkeit.
Die passionierte Alpinistin Irmi hat sich auf den Weg zu ihrem ersten Fünftausender gemacht.
Die Kilimandscharo Tour – ganz oben auf Irmis Bucket List
Habt ihr das auch? Eine Reise-Bucket-List? Ich habe eine Mountain-Bucket-List: Darauf stehen Berge und Gebirge, die ich irgendwann einmal in meinem Leben besuchen möchte.
Die Kilimandscharo Tour steht auf dieser Mountain-Bucket-List sehr weit oben. Anfang November 2018 ist es soweit. Mein Gepäck besteht aus meinem Rucksack, vollgestopft mit Schlafsack, Isomatte, Stirnlampe und Bergsportklamotten für alle Jahreszeiten.
Kilimandscharo Tour: Steckbrief Machame Route
- Anreise: ca. 10 Std. Flug von München via Amsterdam
- Ausgangspunkt: Moshi (670m) in Tansania
- Startpunkt: Machame Gate (1.600m)
- Höhenmeter: ca. 4.300 hm gesamt
- Dauer für den Aufstieg: fünf Tage; Täglich 5-7 Std. Gehzeit, bis zu +1.300 hm Aufstieg/-2.800 hm Abstieg
- Schwierigkeit: Technisch Mittelschwere Tour in hochalpinem, kombiniertem Gelände. Die eigentliche Herausforderung ist die Höhe!
- Voraussetzung: Erfahrung in hochalpinem Gelände, sowie Trittsicherheit und Schwindelfreiheit; gute Akklimatisierung notwendig!
- Beste Jahreszeit: Juni bis Anfang November, Jan/Feb
Karibu! Mein Abenteuer beginnt | Start im tropischen Regenwald
Den Kilimandscharo darf man nur in Begleitung eines ausgebildeten Bergführer besteigen. Mein Guide heißt Jackson: Karibu! „Willkommen“ auf Swahili, der Sprache in Ostafrika.
Am Kilimandscharo Gate muss sich jeder Bergsteiger registrieren. Das Gepäck wird auf die „Porter“, so heißen die freundlichen Jungs, die das Gepäck und Equipment tragen, verteilt. Und dann geht’s los.
Der fünftägige Aufstieg startet moderat. Die Route beginnt im dichten tropischen Regenwald, Affen turnen in den Bäumen. Es geht vorbei an hohen, moosbewachsenen Urwaldriesen und satt-grünen Farnen.
Wir laufen von Beginn an im Schneckentempo. Es kommt mir wie Zeitlupe vor, rechtfertigt sich jedoch zum Schluss hin immer mehr. Bis zum Gipfel durchqueren wir alle fünf Klimazonen dieser Erde! Auch das macht eine Kilimandscharo Expedition zu etwas ganz Besonderem.
Wetterwechsel im Stundentakt
Strahlend blauer Himmel begrüßt jeden Tag. Nachdem ich mich aus meinem Schlafsack geschält habe und aus dem Zelt luge, erblicke ich täglich direkt vor mir – beinahe zum Greifen nahe – den Kilimandscharo.
Nach dem Frühstück wird wieder alles eingepackt, der Tross setzt sich in Bewegung. Ab 3.000 Höhenmeter ist der Boden morgens gefroren. Mit jedem Tritt sinke ich in die schwarze Lava ein, ein Gefühl wie im Frühjahr beim Firn-Skifahren, denke ich.
Der späte Vormittag ist meist gezeichnet vom ungemütlichen, eiskalten Wind und Nebel und verkürzt jegliche Rast. Es wird immer früh losgegangen, damit uns die klimabedingte Dusche am Nachmittag nicht erwischt. Dann schüttet es nämlich sprichwörtlich aus Eimern!
Home sweet home | Tee, Popcorn & ein heißes Fußbad
Übernachtet wird immer auf den jeweiligen Stationen (Camp genannt). Diese werden von einem Ranger betreut und man trägt sich in die Besucherliste ein. Eine Art Gipfelbuch denke ich, dient aber der Registrierung und Sicherheit.
Mein Zelt ist bei der täglichen Ankunft bereits aufgestellt, meine Isomatte aufgerollt, mein Gepäck liegt daneben. Es gibt eine Schüssel mit heißem Wasser zum Frischmachen. Afrikanisches Mountaineering inkludiert wohl auch die Körperhygiene und den Luxus eines heißen Fußbades. Ich bekomme Tee und frisches Popcorn. Ich dachte das gibt’s nur im Kino!
Es gibt mindestens einmal am Tag ein warmes Gericht, immer frisch gekocht. Kein Convenience Food. Die Jungs tragen alles mit. Zelte, Geschirr, Kocher, Gas, Essen.
Staunend lasse ich sie täglich an mir vorbeiklettern. Vollgepackt mit kiloschwerem Gepäck am Rücken und teilweise auf dem Kopf sind sie trotzdem soviel früher am Ziel als ich, was mich bis heute sehr beeindruckt.
Kilimandschado-Muss: Die Akklimatisierung
Ein wesentlicher Teil der Höhenanpassung ist das ständige Auf- und wieder Absteigen. Wir überwinden steile Felswände, gewinnen schnell an Höhe und wandern dann wieder in Täler, wo wir auf reduzierter Höhe schlafen.
Ein allabendliches Ritual ist das Messen der Pulsoximetrie. Ich finde das beruhigend.
Pulsoximetrie wird bei Aktivitäten in großer Höhe eingesetzt, zum Beispiel in der Sportfliegerei oder eben beim Höhenbergsteigen, um eine drohende Höhenkrankheit frühzeitig zu erkennen.
Dabei sollte in der Höhe – bei trainierten Personen – der pO2 Wert nicht unter 55-60mmHg liegen.
Massen-Bergtourismus und die Folgen
Ich bin in der Nachsaison unterwegs. Und so sind in den Camps nie mehr als drei bis vier Gruppen untergebracht. Als wir andere Routen kreuzen, werden die Camps voller. Trotzdem meint Jackson, dass es nur ein winziger Bruchteil der Besucher im Vergleich zur Hochsaison ist und zeigt mir, wie voll diese in der High-Season sein können – dann findet „Massen-Bergtourismus“ statt.
Obwohl das Kilimandscharo-Gebirge jährlich von rund 30.000 Menschen besucht wird, vermisse ich ein schlüssiges Hygiene– und Müllkonzept. Auf der Route stehen zwar immer wieder Toilettenverschläge – in denen riecht es allerdings häufig derart nach Chemikalien, dass mich der Gedanke an die Konsequenzen für die Böden und das Grundwasser schaudern lässt.
Leider wird diese wunderbare Bergregion nicht vom Thema Plastikmüll verschont. Während die Crews jeden Morgen den Platz am Camp tipptopp hinterlassen, begleitet uns der Müll vom ersten Schritt bis nach oben.
Natürlich kann einem der Wind mal etwas aus der Hand wehen und wahrscheinlich hat jeder von uns schon einmal etwas unbemerkt verloren. Warum aber der eigene Müll nicht einfach wieder mitgenommen werden kann, verstehe ich bis heute nicht.
Anfangs habe ich noch Müll gesammelt, der am Wegrand lag. Dann wurde mir klar, dass wir wahrscheinlich bald noch eine Crew zusätzlich benötigen, um den Müll sowohl erst einmal nach oben als auch wieder mit nach unten nehmen zu können.
Die NGO ZARA Charity organisiert jedes Jahr Müll-Sammelaktionen, bei denen das gesamten Kilimandscharo Gebiet durchkämmt wird. Ich frage mich, in welcher Welt wir leben, in der eine solche Aktion nötig ist.
„Pole, Pole!“ | Langsam voran …
Meine persönliche kritische Höhe beginnt bei 4.400 Höhenmetern. Und dann kommt der Tag, an dem wir kaum unterhalb meiner magischen Grenze laufen.
Dicke Nebelschwaden durchwabern das Tal. Es ist kalt, ungemütlich, windig, neblig und ich bin erschöpft! Mittags habe ich kaum Appetit – das alarmiert meinen Guide Jackson. Es geht weiter, und auch wenn wir wirklich nur sehr langsam laufen, spüre ich die Höhe.
„Pole, Pole“ – langsam, langsam höre ich immer wieder. Ich schmunzle, schneller könnte ich ohnehin nicht!
Wir folgen einem Bergkamm über Geröllfelder weiter aufwärts. Vorbei an Steinmanderl-Feldern, die mich an das Ufer des Isar-Ursprungs in Scharnitz erinnern.
„Make a wish“ sagt Jackson. Und so baue ich mir mein eigenes Make-a-wish-Steinmanderl.
Ankunft im Kilimandscharo-Basecamp | Der vierte Tag
Am Nachmittag des vierten Tages kommen wir am Basecamp des Kilimandscharo an. Von hier aus sind es noch circa sieben Stunden bis zum Uhuru Peak, dem Gipfel des Kilimandscharos.
Ich bin erschöpft. Vom langen Aufstieg, von den Eindrücken einer unglaublich schönen und vielfältigen Landschaft, erschöpft von der spürbaren Höhe, der Vorfreude – aber leider auch von massiven Kopfschmerzen und einer unbekannten Übelkeit.
Ich stolpere entkräftet ins Zelt und liege mit voller Montur auf meiner Isomatte. Meine Umwelt nehme ich nur noch wahr, als wäre diese ganz weit weg. Einzig allein kreist die Frage in meinem Kopf: Gehen oder bleiben?
Wir messen meinen pO2 Wert: 40. Sofort schießen mir die Tränen in die Augen, weil ich weiß, was das bedeutet. Ich darf nicht gehen.
Nach zwei Stunden messen wir nochmal. Der Wert steigt auf 62. Damit dürfte ich eigentlich gehen. Eigentlich. Aber mein Körper sagt mir etwas ganz anderes.
Und trotzdem: Ich fasse den Entschluss, dass ich es versuche.
Höhenkrankheit vs. „Uhuru Peak“ | der Gipfel
Ich stehe auf. Ich will aufstehen. Mir wird schwindlig und ich kippe wieder auf meine Isomatte. Der Druck in meinem Kopf ist nahezu unerträglich und für mich auch sehr beängstigend. Was mache ich nur?
Höhenkrankheit oder Bergkrankheit wird von den allermeisten Bergsportlern verharmlost.
Dabei kann es in ein akutes und lebensbedrohliches Höhenhirnödem übergehen und sich potenziell ein lebensgefährliches Höhenlungenödem bilden.
Schätzungen zufolge sterben jährlich etwa 50 Menschen am Kilimandscharo aufgrund der Höhenkrankheit. Genaue Zahlen werden nicht veröffentlicht. Ein funktionierendes Rettungssystem gibt es nicht – das weiß ich.
Und dieses Wissen spukt in meinem Kopf, gemeinsam mit meinem Willen und der Begeisterung für den Berg und für den Gipfel des Kilimandscharos, den ich unbedingt erreichen möchte.
„Umzukehren und abzusteigen ist eine der schwierigsten Entscheidungen in den Bergen. Vielleicht die schwierigste überhaupt. Ich habe lange gebraucht, bis ich das gelernt habe .“ (Hans Kammerlander)
Ich kann es kaum glauben, dass ich genau diesen Satz sage: „Sorry, I cannot go!“ … es fließen Tränen und Zweifel kommen auf. Sollte ich doch? Wenigstens versuchen? Ich kann mich kaum aufrecht hinsetzen, neben dem Kopfdruck kommt die Übelkeit.
Ich bleibe. Da liege ich. Eingepackt in meinem Schlafsack. Draußen höre ich eine quirlige Aufbruchstimmung, gemischt mit dem Geräusch von Schneeregen, der auf das Zeltdach prasselt.
Ich hatte doch schon das Gipfelfoto vor Augen. Was sagen denn meine Freunde, meine Familie, mein Umfeld? Mit vielen Enttäuschungen und dem nicht erfüllten Erfolgsdruck in mir schlafe ich dann doch irgendwann ein.
Der Kilimandscharo läuft nicht davon | Traurigkeit, Enttäuschung und Gewissheit
Frühmorgens wache ich auf. Die Kopfschmerzen sind immer noch da. Ich schlüpfe aus meinem Zelt, der Himmel ist wolkenlos. Tränen der Enttäuschung fließen mir über die Wangen.
Ein Gefühlschaos von Versagen gepaart mit der Sicherheit, dass ich meine Gesundheit nie aufs Spiel setzen werde. Ich sitze da, mit einer Tasse heißem Tee in der Hand, vor mir das unglaubliche Bergmassiv.
Und dann kommt Jackson und sagt: „Irmi, you know, the mountain is not run away, you can come back. Anytime!”
Wie Recht er doch hat. Wir reden lange über Erwartungen – von der Außenwelt und von den Ansprüchen an sich selbst.
Ich will es gar nicht leugnen: längst bin auch ich in der Social-Media Welt zu Hause, in der nur strahlende Fotos gepostet werden und überwiegend von Erfolgserlebnissen berichtet wird. Es geht in unserer Gesellschaft einfach auch um höher, schneller, weiter und eine ständige Verbesserung der eigenen Leistung.
Ich habe den als so leicht eingestuften Kilimandscharo also nicht geschafft. Ich habe die selbstverständliche Erwartung von mir und der Außenwelt nicht erfüllt. Habe ich versagt? Ist das jetzt peinlich?
Meine Antwort dazu lautet ganz klar: Nein! Ich habe nichts und niemandem etwas zu beweisen, denn es geht um mehr. Um die Vernunft und um die Akzeptanz der eigenen Grenzen, um die eigene Gesundheit und darum, beherzt sagen zu können und dürfen: es ist mir diesmal nicht gelungen.
Ja – es war eine schwierige Entscheidung. Und eine schmerzliche Einsicht.
Aber im Nachhinein bin ich trotzdem froh über eine ganz neue Erfahrung. Nämlich auch einmal etwas NICHT geschafft zu haben.
Der Weg ist das Ziel | Dankbarkeit für eine wunderbare Zeit
Mit mehr Abstand habe ich für mich die Erkenntnis gewonnen, dass es, auch bei einem Gipfel der Seven Summits, um mehr geht, als auf dem Gipfel zu stehen.
Ich hatte eine unvergesslich schöne und erlebnisreiche Woche im Kilimandscharo Gebirge, die ich, auch ohne Gipfelfoto, nicht missen möchte.
Wie heißt es so schön: „Der Weg ist das Ziel“. Diesen Spruch habe ich schon so häufig verwendet – aber nie hat er mehr gepasst als bei dieser Unternehmung!
An dieser Stelle einen ganz besonderen Dank an mein Team von ZARA Adventures, besonders Jackson und Freddie, die mir eine phantastische Woche ermöglicht haben und mich insbesondere beim Abstieg mental mit ihrer fröhlichen und ausgelassenen Art ablenken konnten.
Übrigens: Tansania hat mich in jeder Hinsicht überrascht. Es ist ein wunderschönes und abwechslungsreiches Land mit zauberhaften Menschen und hat neben dem populären Kilimandscharo noch mehr Berge und Vulkane zu bieten. Eines ist sicher: ich werde wiederkommen. Und dann gibt es einen neuen Anlauf. Darauf freue ich mich jetzt schon!
„Faida“ – Auf Wiedersehen in Tansania!
Lust auf mehr? Weitere Tourenberichte findest Du in unserer Touren-Rubrik.
Möchtest du von neuen Tourentipps und Interviews erfahren?
Melde dich zu unserem Newsletter an 🙂